DUI24-25 Trans- und Interkulturalität
Kursname
Fremdheitserfahrungen in der deutschsprachigen Literatur seit 1890Kursleiter
UUEC
5/6 ECKurstermin
semester 2 (2024 - 2025)Anmeldefrist
Ort
Amsterdam/Utrecht/ExkursionDozent(en)
Ewout van der Knaap (UU) & Thorsten Carstensen (UvA)Email Kontakt
Ewout van der KnaapLernziele
Erfolgreiche Studierende:
- verfügen über fundierte Kenntnisse über relevante Kulturtheorien und interkulturelle Vermittlungskonzepte und können unterschiedliche theoretische und methodologische Perspektiven innerhalb der Literatur- und Kulturwissenschaft einnehmen;
- können relevante Diskussionen im Kontext von Inter- und Transkulturalität reproduzieren und analysieren;
- können eine eigene Position zu den im Kurs behandelten Themen entwickeln, formulieren und erläutern;
- können selbstständig primäre und sekundäre Quellen zu den im Seminar behandelten Themenbereichen recherchieren und in strukturierter Form präsentieren (mündlich und schriftlich);
- können literarische und kulturelle Beispiele theoretisch und methodisch fundiert analysieren und eigene Fragestellungen, Thesen und Argumentationen entwickeln;
- können mündliche und schriftliche Beiträge auf inhaltlich und sprachlich angemessenem Niveau beisteuern (C1/C2);
- sind in der Lage, sich klar und strukturiert auszudrücken und anhand des Feedbacks, das sie erhalten, ihren Lernprozess zu evaluieren und entsprechend zu verbessern;
- sind in der Lage, Unterrichtsentwürfe auf der Basis von eigenen Fragestellungen zu gestalten, auszuführen, zu evaluieren und anzupassen (spezifisch für Studierende von Lehramtsstudiengängen).
Inhalt
Sprachen sind an Kulturen gebunden, und wer eine andere Sprache lernt, muss auch in die kulturellen Muster und Gewohnheiten eintauchen, die ihr zugrunde liegen. Bezieht sich das traditionelle Verständnis von Kultur auf die Vorstellung einer nationalen Einheit von Sprache und Kultur, so sind heutige Gesellschaften von einer solchen Vielfalt möglicher Identitäten geprägt, dass interkulturelle Kompetenz und Fremdverstehen zum gesellschaftlichen Alltag gehören. Hier setzt die Interkulturalität an. Sie geht davon aus, dass die eigene Identität im Austausch mit anderen Kulturen erfahrbar wird. Man lernt, die Welt aus einer anderen Perspektive zu sehen, und um das Andere zu verstehen, muss man sich die eigene Perspektive bewusst machen. Damit entsteht eine produktive Beziehung zwischen fremder und eigener Kultur, die nach und nach die Unterscheidung aufhebt. Hier setzt die Transkulturalität an, die moderne Gesellschaften als strukturell heterogen und hybrid definiert, weil sie aus sich heraus einem permanenten historischen und interkulturellen Wandlungsprozess ausgesetzt sind.
Der Kurs will interkulturelles Lernen in Auseinandersetzung mit deutschsprachigen (literarischen) Texten und Kultur vermitteln und Studierenden auf diese Weise spezifisches soziokulturelles Wissen und interkulturelles Bewusstsein erschließen.
Deutschsprachige Literatur erfasst seit eh und je gesellschaftspolitische Entwicklungen und Begegnungen mit fremden Kulturen. Der Kurs konzentriert sich auf vier Themenblöcke und Diskurse deutschsprachiger Literatur: Kolonialismus, Lebensreform, Exil und Ost-West. Dadurch werden Konzepte und Fremdbilder erörtert, die sich ab dem wilhelminischen Kaiserreich bis in die Gegenwart ziehen und Konzepte der Trans- und Interkulturalität, der kulturellen Identität und auch den postmigrantischen Diskurs mitprägen.
In den Sitzungen stehen Romane, Sachtexte, Kurztexte oder Fragmente im Zentrum, deren Lektüre vorausgesetzt wird. Obligatorischer Teil des Kurses ist eine Exkursion nach Frankfurt/M, wegen des Exil-Archivs
KOLONIALISMUS
Im Vergleich zu anderen Ländern ist Deutschland eine späte Kolonialmacht. Die deutsche Annexion von Kolonien in Afrika und Asien setzte 1884 ein. In einem Abkommen mit Namibia hat die Bundesrepublik Deutschland 2021 den durch Deutsche begangenen Völkermord an den Herero und Nama anerkannt und sich offiziell für die Gräueltaten der deutschen Kolonialmacht entschuldigt. Im Themenblock Kolonialismus geht es am Beispiel von Auszügen aus dem Amerika-Roman Winnetou (1893) um Fremdheitsfantasien Karl Mays, um den Diskurs des Fremden in Franz Kafkas Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“ (1917), um Diskussionen über das historisierte wilhelminische Stadtschloss in Berlin (Humboldt Forum) und um den Roman Morenga (1978), mit dem Uwe Timm erstmals den postkolonialen literarischen Diskurs in Deutschland anregte.
LEBENSREFORM
Im späten 19. Jahrhundert formierten sich im deutschsprachigen Raum zivilisationskritische Strömungen, deren Ziel es war, die Lebensverhältnisse im „Zeitalter der Nervosität“ (Joachim Radkau) radikal umzugestalten: Die Lebensreformer suchten die physischen Selbstheilungskräfte durch Licht- und Luftbäder zu stärken, fanden sich in Wander- und Tanzgruppen zusammen, forderten die Abschaffung des Korsetts, stellten ihre Ernährung auf Rohkost um und gründeten Obstbausiedlungen und Gartenstädte. In letzter Konsequenz führte die lebensreformerische Alternative hinaus aus der Welt des nervösen „Kulturmenschen“ – und zwar auch im geographischen Sinne. Denn der Traum von der autarken Siedlungsgemeinschaft, in der sich die lebensreformerischen Ziele und Praktiken realisieren ließen, wurde nicht selten auf Afrika und Asien projiziert – auf Regionen also, deren „Naturvölker“, so die Argumentation, noch nicht durch den zivilisatorischen Überbau in ihrer naturgemäßen Lebensweise gestört worden seien. Im Seminar widmen wir uns zum einen Hans Paasches Briefsatire Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland (1912/13), in der die Gesellschaft des Kaiserreichs aus der Perspektive eines fiktiven Reisenden aus dem ebenfalls fiktiven zentralafrikanischen Land Kitara kommentiert wird. Zum anderen diskutieren wir mit Christian Krachts Imperium (2012) einen prominenten Roman der Gegenwartsliteratur, der anhand des bizarren Öko-Kommunarden August Engelhardt, der 1902 in der Deutschen Südsee einen Kokosnuss-Orden gründete, die unheilvolle Verquickung von Lebensreform, Kolonialismus und völkischem Denken erforscht.
EXILLITERATUR
Auch die Exilforschung hat in den letzten Jahren von Perspektiven der Inter- und Transkulturalität profitiert: Gerade mit Blick auf die ‚klassische‘ Exilepoche der NS-Zeit (1933-1945) lassen sich dadurch interessante Rückschlüsse auf die Konstruktivität von Heimat und Identität ziehen. Im Zentrum dieses Themenblocks steht Uwe Wittstocks aktueller Bestseller Marseille 1940: Die große Flucht der Literatur, der am Beispiel der französischen Hafenstadt eine faszinierende Kulturgeschichte exilierter deutscher Schriftsteller*innen entwirft. Um das in dem Buch entworfene Panorama zu vertiefen, werden wir einige Texte jener Autor*innen lesen, für die Marseille eine wesentliche Station ihrer Flucht aus Hitler-Deutschland war (z.B. Hannah Arendt, Anna Seghers, Walter Benjamin, Alfred Kantorowicz).
OST-WEST
Nicht die Kolonialerfahrungen und auch nicht der Wende-Diskurs werden in diesem Themenblock diskutiert, sondern die vielen Berührungen in der deutschsprachigen Literatur mit Erfahrungen in Osteuropa (Herta Müller), der Türkei als Scharnier zwischen Asien und Europa (Emine Sevgi Özdamar) und aktuelle Fragen der Osterweiterung der EU (Robert Menasse).
Pädagogische Perspektive
Studierende erarbeiten im Anschluss an das Gelernte zu einem der Themenblöcke eigene Forschungsfragen bezüglich der Unterrichtspraxix bzw. der interkulturellen Kompetenzentwicklung von Schüler*innen.
Bedingungen Kursteilnahme / Sprachkenntnisse
Grundkenntnisse im Bereich der Literaturgeschichte und -wissenschaft; Sprachfertigkeit des Deutschen auf Niveau C1 (produktiv) und C1/C2 (rezeptiv)
Prüfung
Arbeitsformen
Seminarsitzungen und Exkursion
Prüfung
30% Referat
70% Hausarbeit
Arbeitsaufwand/Studienleistung
5 EC = 140 Stunden, davon…
- 20 Stunden Anwesenheit (3 x 4 Seminar, Exkursion: 8 Stunden)
- Lektüren: 70 Stunden
- 50 Stunden für Referat und Hausarbeit
UvA/VU 6 ECTS
UvA/VU-Studierende, die 6 ECTS benötigen, werden etwas längere Hausarbeit machen oder eine zusätzliche Aufgabe erfüllen.
Dies muss in Woche 1 mit Ihrem Dozenten abgesprochen werden.
Literatur
Pflichtlektüre über die alle verfügen sollten:
- Uwe Timm: Morenga [1978]. Mit einem Nachwort von Robert Habeck. Dtv 2020, ISBN 978-3-423-14761-3, Euro 14,- (480 S.)
- Christian Kracht: Imperium [2012]. Fischer 2013, ISBN 978-3596185351, EUR 13,- (256 S.)
- Robert Menasse: Die Erweiterung [2022]. Suhrkamp Taschenbuch 2024, ISBN 978-3-518-47361-0, Euro 15,- (652 S.).
Empfohlen:
- Uwe Wittstock: Marseille 1940. Die große Flucht der Literatur. C.H. Beck Verlag 2024,
- ISBN 9783406814907, EUR 26,- (351 S.). [aus diesem Buch werden Auszüge gelesen werden]
Kosten für Pflichtbücher: €42,- Euro
Übrige Information
Kosten
Eigenbeitrag für obligatorische Exkursion nach Frankfurt/M.: ca. 50 Euro
Zeitplan
Freitag 7-2-2025 13.00-17.00 Amsterdam
Freitag 7-3-2025 13.00-17.00 Utrecht
Freitag 21-3-2025 – Samstag 22-3-2025 Exkursion
Freitag 4-4-2025 13.00-17.00 Utrecht
In der Exkursion werden Forschungskompetenzen entwickelt, die für die Hausarbeit wichtig sind.